Tour 82: Zentralfriedhof II
Diese Tour von rund 47 Kilometern führt, wie Tour 80, erneut zum Zentralfriedhof. Die Rückreise erfolgte aber über die Donauinsel. Ziel war der bei der ersten Tour übersehene Obelisk.
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Der Obelisk für die verstorbenen Kriegsgefangenen
Im Juni 2017 wurde ein Obelisk aus schwarzem Marmor eingeweiht. Die Russische Föderation ließ ihn in St. Petersburg anfertigen und am 22. Juni durch einen Priester nach orthodoxem Ritus einweihen. Er steht beim Tor 10 und soll der toten sowjetischen Kriegsgefangenen gedenken, die man hier gefunden hat. Man erreicht den Obelisken indem man von Tor 2 in gerader Linie über die Lueger-Gedächtniskirche bis zum anderen Ende des Friedhofes geht. Hier trifft man noch auf das Kriegerdenkmal der Stadt Wien für die Toten des Ersten Weltkrieges - ein Scheintor mit der Statue "Klagende Mutter". Der Obelisk "versteckt" sich dann hinter einer Hecke.
Hier ein Teil der Rede von Dmitrij Ljubinskij / Дмитрий Евгеньевич Любинский, seit 2015 russicher Botschafter in Wien, bei der Einweihungszeremonie:
„Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen aus dem Bundesministerium für Inneres, Exzellenzen, Vertreter des diplomatischen Corps, Hohe Geistlichkeit, meine Damen und Herren, heute haben wir uns zur Einweihung eines Obelisken zum Andenken an die sowjetischen Kriegsgefangenen, die in den Jahren 1941–45 ihr Leben verloren haben, versammelt. Über 80.000 Menschen aus der Sowjetunion haben im Zweiten Weltkrieg ihre letzte Ruhe im österreichischen Boden gefunden. Hier, am Tor 10 des Wiener Zentralfriedhofs, ruhen 200 sowjetische Bürger aus den verschiedenen Republiken der ehemaligen UdSSR. Dank der mühevollen ehrenamtlichen Arbeit von russischen und österreichischen Aktivisten ist es gelungen, 183 davon ihren Namen zurückzugewinnen.
Alle diese langen Jahre galten diese Menschen als verschollen. Jetzt werden ihre Verwandten und Nachfahren die Möglichkeit haben, über ihr tragisches Schicksal Gewissheit zu erhalten. Vier Familien wurden bereits gefunden – eine in Russland und drei in Belarus. Eine sehr große Tat wurde hier von allen Beteiligten vollbracht.
Das Denkmal, das wir heute einweihen, ist ein weiteres Zeugnis für den großen menschlichen Respekt, den das russische und das österreichische Volk für einander empfinden.
Ich möchte diesen Anlass nutzen, um unseren österreichischen Partnern und Freunden aufrichtige Dankesworte für den sorgsamen Umgang und die Pflege der sowjetischen Kriegsgräberstätten auszusprechen. Wir wissen ihre Bemühungen höchst zu schätzen. Für meine Landsleute und mich persönlich bedeutet das sehr viel...
(Quelle: Homepage der Russischen Botschaft in Wien)
Am Abend fand am Russischen Kulturinstitut dann noch ein Gedenkabend statt, bei dem unter anderem der 44-minütige Dokumentarfilm „Er besiegte den Tod“ aus 2016 gezeigt wurde. Der sowjetische Militärarzt Alexandr Moiseewitsch Iosilevwtsch / Александр Моисеевич Иосилевич - „Doktor Sascha“ – sah von 1941 bis 1945 neun Konzentrationslager, inklusive Mauthausen, von innen und rettete dabei Leben. Er starb um 2000 in Israel. Ein Mitgefangener war Igor Fjodorowitsch Malickij / Игорь Фёдорович Малицкий. Er erzählt im russischsprachigen Film „Blok 20. Hasenjagd“ von seinem Schicksal: YouTube
Das KZ Mauthausen und die Mühlviertler Hasenjagd
"Das KZ Mauthausen hatte rund 1.100 sowjetische Kriegsgefangene, hauptsächlich von der Luftwaffe. Jeden Tag wurden zehn bis 15 von ihnen erschossen. Essen gab es jeden dritten Tag." (M. Rybcinskij)
Am 2. Februar 1945 brachen rund 500 Häftlinge bei Minustemperaturen aus dem Block 20 – ausschließlich sowjetische Offiziere – aus. 449 konnten das Areal verlassen. 300 gelang die vorläufige Flucht. 19 Personen verschwanden dauerhaft. Acht Überlebende sind namentlich bekannt:
- Nikolaj Cemkalo und Michail Rybcinskij überlebten bei Familie Langthaler. Rybcinskij starb als letzter Überlebender 2008.
- Ivan Baklanov und Vladimir Sosedko kamen ins Waldviertel.
- Aleksandr Micheenkov schaffte es in die CSSR.
- Ivan Bitjukov und Viktor Ukraincev wurden von Zwangsarbeitern in Naarn versteckt.
- Ukraincev kam bis Prag, wurde erneut verhafte, kam unter falschem Namen zurück nach Mauthausen… und überlebte.
- Vladimir Sepetja und Ivan Derkac flohen nach Linz. Derkac wurde gefasst, Sepetja erst später. Er überlebte.
PS
In der Stalin-UdSSR wurden kriegsgefangene Offiziere als Kriegsverbrecher und Desserteure angesehen. Rund 20 Prozent aller sowjetischen KZ-Überlebenden wanderten so vom KZ direkt in den Gulag. Unter N. Chruschtschow wurden dann speziell die paar Überlebenden der „Hasenjagd“ zu Helden ummodelliert. Sie erhielten als erste Gruppe von ehemaligen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion öffentliche Anerkennung.
Buchtipp
Matthias Kaltenbrunner: Flucht aus dem Todesblock - Der Massenausbruch sowjetischer Offiziere aus dem Block 20 des KZ Mauthausen und die "Mühlviertler Hasenjagd" - Hintergründe, Folgen, Aufarbeitung.
Tierische Friedhofsbewohner
Im Winter frequentiert vor allem die russische Saatkrähe den Zentralfriedhof.